Mittwoch, 5. Februar 2014

Lampedusa in Hamburg ,Bericht von der Konferenz vom 1. Februar 2014 in Hamburg


Hamburg, 2. Februar 2014


Die komplette Konferenz ist filmisch dokumentiert und auf youtube zu sehen:
Am vergangenen Samstag, den 1. Februar 2014, nahmen mehr als 200 Menschen an der ersten von zwei Konferenzen der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ teil. Nach 10 Monaten des Kampfes auf den Straßen in Hamburg wollten die aus Libyen im Zuge des NATO-Angriffs geflohenen Flüchtlinge der interessierten Öffentlichkeit und allen unterstützenden Kreisen in Beiträgen die Gründe benennen, welche sie gezwungen haben, letztendlich ihre Länder und später Libyen zu verlassen. Mit den beiden Konferenzen sollen die politischen Hintergründe für die Flucht einerseits und für die Motivation nach einer Gruppenanerkennung als Kriegsflüchtlinge andrerseits vorgestellt werden, um den Widerstand in den kommenden Monaten fokussiert und konzentriert zu gestalten. Dieses Anliegen gewann immer mehr an Bedeutung, weil in den letzten Monaten in der Presse und Öffentlichkeit die Kernursache für die Flucht der in „Lampedusa in Hamburg“ organisierten Flüchtlinge verschwiegen und teilweise sogar falsch dargestellt wurde. Gleichzeitig bleibt der Hamburger Senat bei seiner abweisenden Haltung, stiehlt sich aus der Verantwortung [1] oder erklärt das Problem gar für gelöst [2].

Auf der ersten Konferenz am vergangenen Samstag unter dem Titel: „Warum verlassen Menschen ihre Heimatländer? Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!“ wurden die Fluchtursachen im Vordergrund gestellt, während auf der zweiten Konferenz am 8. Februar 2014 die Situation der Flüchtlinge in Deutschland vorgestellt werden soll. Die zweite Konferenz soll verdeutlichen, warum die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ sich von dem Vorschlag des Hamburger Senats, sich hier in die Fänge des deutschen Asylsystems zu begeben, distanziert. Zuletzt soll am kommenden Wochenende darüber diskutiert werden, wie der Aufbau und Ausbau solidarischer Strukturen beschleunigt und gestärkt werden kann.
Am vergangenen Samstag waren über 200 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und sogar Ausland zur Konferenz gekommen. Die drei Hauptvorträge von Dr. Boga Sako Gervais, Maissara M. Saeed und Prof. Dr. Normaen Paech wurden ergänzt durch Beiträge der Mitglieder der Gruppe Lampedusa in Hamburg und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz. Zu Beginn wurden ein Videointerview mit Affo Tschassei [3] und ein Video über die Solidaritätsaktion der Hamburger Schülerinnen und Schüler [4] gezeigt. Letztere hatten unter dem Motto „Politikunterricht auf die Straße tragen - Bleiberecht für alle!“ ihre Solidarität mit dem Kampf der Flüchtlinge in Hamburg durch einen Schulstreik demonstriert.

Geschichte wird durch Menschen gemacht!
Die Welt schaut aktuell auf Hamburg!


Dr. Boga Sako Gervais, selbst Flüchtling in Europa, begann sein Beitrag mit der Erläuterung der universellen Menschenrechte und leitete über zu den Flüchtlingsrechten definiert in der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951. Zuletzt suchte er Erklärungen für die Misere, die Menschen aus Afrika zwingt, ihre Länder zu verlassen, obwohl diese die rohstoffreichsten der Welt sind. Im ersten Drittel seines Vortrages führte er aus, dass die Menschenrechte international anerkanntes Kriterium für die Bewertung einer guten Demokratie seien. Daher verfolgen Menschen aus der ganzen Welt kritisch den Umgang mit den Flüchtlingen aus Libyen in Hamburg. In Bezug auf die Flüchtlingsrechte bestärkte er die anwesenden Flüchtlinge auf ihre Rechte - niedergeschrieben in den Genfer Konventionen - zu bestehen. Er fragte: „Respektiert Deutschland die Genfer Konvention? Respektiert Hamburg die Genfer Konvention?“

Krieg ist ein Geschäft

Den letzten Teil seiner Ausführungen begann er mit der Frage: „Warum sind so viele Afrikaner hier in Europa?“ Er verdeutlichte den Reichtum Afrikas an Rohstoffen, Diamant in Kamerun, Gold und Coltan in Kongo, Uran in Niger, Kakao in Elfenbeinküste und fragte die Anwesenden, warum die afrikanischen Menschen fliehen müssen und warum sie immer wieder mit Kriegen konfrontiert seien: „Wer macht den Krieg in Afrika? Wer produziert die Waffen? ... Wer bombardiert die Länder Afrikas?“ Er formulierte den Satz, dass die ganzen Kriege ein großes Geschäft seien, auf der einen Seite sind die Rohstoffe und auf der anderen Seite der Verkauf von Waffen. Frauen und Männer fliehen vor Kriege und vor den Bomben der NATO, sie bringen den Mut auf und fliehen über das Mittelmeer und ihnen werden jegliche Rechte verweigert. Darüber hinaus werden sie in Europa sofort nach ihrer Ankunft kriminalisiert und stigmatisiert. Diese Praxis wird fortgeführt und wird auch von den Mitgliedern der Lampedusagruppe in Hamburg erfahren. Die andauernden Kriege und Auseinandersetzungen führen weiterhin dazu, dass Afrikas Jugend und Intelligenz den Kontinent verlässt und somit Afrika seiner Zukunft beraubt wird. Dr. Boga schloss seinen lebendigen Vortrag mit einer Schweigeminute für die Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa an den Grenzen ihr Leben verloren. Sein Vortrag wurde anschließend von den anwesenden Teilnehmer und Teilnehmerinnen kommentiert und ergänzt.

Damit keiner mehr fliehen muss

Herr Ibris stellte fest, dass es eine Sache sei, dass die Rechte irgendwo niedergeschrieben stehen und eine andere Sache, ob sie auch Gültigkeit besitzen oder darum zu kämpfen. Rückblickend auf die Geschichte können wir nur feststellen, dass die Menschenrechte nur für weiße Europäer gelten, heute werden sie sogar missbraucht, um Kriege zu führen. Wenn wir über Menschenrechte sprechen, dann sollten wir ein Bewusstsein entwickeln, welche Gültigkeit sie haben und wer sie beherrscht oder verletzt. Erlangen wir ein umfangreiches Bewusstsein über die Missstände und ihre Verursacher, ändert sich unser Auftreten und die Art und Weise, wie wir Solidarität entfalten. Herr Udo von der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ ergänzte, dass es der westlichen Welt in Erinnerung gerufen werden müsste, dass sie ursächlich verantwortlich für die Probleme in Afrika seien. Er fügte hinzu, dass die Lampedusagruppe in Hamburg nicht nur für die Anerkennung der Flüchtlinge noch nur für Arbeitserlaubnisse kämpfen. Es sei auch unsere Aufgabe, das Wissen um die Ursachen des Elends zu erweitern und den politischen Kampf mit dem Ziel führen, dass keiner mehr fliehen muss.

Sudan geprägt durch seine Kolonialgeschichte und seine Lage

Den zweiten Vortrag leitete Maissara Saeed mit einer knappen Übersicht über die Geschichte Sudans ein. Von der osmanischen Besatzung ging das Land über in die Hände der englischen Kolonie und Ägyptens, während es seit 1989 von zwei reaktionären Männern regiert wurde bis es in 2005 zu Friedensverhandlungen kam und die Teilung des Sudans in Folge dessen beschlossen wurde. Maissara Saeed stellte die Friedensverhandlungen und den gesamten Prozess in Frage, weil die sudanesische Bevölkerung ohne Unterschied der Kultur oder Religion daran nicht beteiligt war. Der Frieden wurde durch die externe Einmischung gestört. Er fragt sich, ob die Teilung Sudans stattgefunden hätte, wenn der erste Präsident des Autonomiegebiets Garang nicht gestorben wäre und wenn die westlichen Kriegstreiber ihren Einfluss nicht geltend gemacht hätten. Der Sudan ist aus Sicht von Maissara Saeed ein interkultureller Raum in dem aufgrund der Geschichte viele Ethnien, Religionen und Sprachen beheimatet sind. Sudan ist zum einen die Brücke zwischen der arabischen Welt und Zentralafrika, auf der anderen Seite zwischen Christentum und Islam, aufgrund seiner Lage spielt es mit seinen 9 Nachbarn eine zentrale Rolle in Afrika. Dass Konflikte entstehen ist die eine Sache, dass sie aber durch die äußere Einflussnahme verstärkt und ständig angefeuert werden eine andere.

Deutschland ist einer der größten Geldgeber für den Krieg in Darfur

Im dritten und letzten Teil seines Vortrages ging er auf die Rolle und Beteiligung Deutschlands an dem Elend und Töten in Sudan ein. Er fragte sich, warum eine Konferenz über Sudan von Wirtschaftsverbänden in Deutschland wie der Afrikaverein der deutschen Wirtschaft oder der Arabisch-Deutschen Handelskammer unterstützt wird und welches Ziel sie verfolgen. Er zeigte die Konsequenzen der finanziellen Unterstützung der Regierungen des Sudans anhand von Bildern von Verwundeten, Getöteten und Kindern und Familien, die in den Krisengebieten vor den Bomben und Schützen Schutz in Höhlen suchen.
Herr Ali Ahmad, Mitglied der Gruppe "Lampedusa in Hamburg" und selber aus Sudan, aus Darfur, ergänzte anschließend, dass alle Kriege wegen Erdöl geführt werden: „Sie spalten uns wegen Erdöl. Sie haben Sudan in zwei Teilen geteilt und sie wollen es in fünf Teilen teilen. Deutschland ist einer der größten Geldgeber für den Krieg in Darfur und will die Spaltung nur für Erdöl.“

Kein Nachbarstaat Libyens war gefährdet

Im Abschlussvortrag ging Prof. Dr. Norman Paech auf die völkerrechtlichen Aspekte des Libyen-Krieges ein. Er führte chronologisch durch die Ereignisse bis zur UNO-Resolution 1973, in dem Militärmaßnahmen gegen Libyen beschlossen wurden. Voraussetzung für solche Militärmaßnahmen ist rechtlich die Gefährdung des internationalen Friedens. Faktisch waren jedoch die Nachbarn Libyens nicht gefährdet. Inhalt der UNO-Resolution 1973 waren ein Waffenembargo, der Luftschutz zum Schutz der Zivilbevölkerung. In der Resolution wurde aber der Einsatz von Bodentruppen ausgeschlossen. Was der UNO-Resolution folgte ist bekannt. Am 19.3.2011, am 8. Jahrestag des Angriffs auf Irak, begann der Bombenangriff der NATO gegen Libyen. Prof. Dr. Paech zitierte Thabo Mbeki, den ehemaligen Präsidenten Südafrikas, der Friedensgespräche angeboten hatte, diese aber vom Westen nicht erwünscht waren[5]: „So haben sie es schon in den Kolonialjahren gehalten, als sie unseren Kontinent beherrschten.

Laut dem Chef der Militäroperation, ein französischer Offizier, waren die Ziele der Resolution am 31. März 2011 bereits erfüllt, doch die Bombardements wurden fortgesetzt. Die Resolution wurde missbrauchend ausgeweitet. Das Waffenembargo von den Vereinigten Staaten Amerikas, Großbritannien, Frankreich und Qatar offensichtlich gebrochen. In diesem Krieg sind laut Berichte von amnesty international schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht festgestellt worden. Es wurden zivile Einrichtungen und Personen angegriffen. Laut einer Einschätzung von Prof. Dr. Paech weisen alle Merkmale des Angriffs auf Libyen auf die Sicherung der Rohstoffinteressen mit neokolonialen Zügen hin.

Deutschlands Rolle bei diesen imperialen Griffen nach den Rohstoffen weltweit wird unterstützt von den Think Tanks wie der Stiftung Politik und Wissenschaft [6] und von den großen meinungsbildenden Zeitungen und Mediengesellschaften. Die Sicherheitsstrategie Deutschland und der EU zielen auf die Sicherung der Handelsstraßen und somit dem Warentransport als auch der Sicherung des Zugriffs auf die Rohstoffe.

Auf die Frage hin, welche rechtliche Schritte gegen den missbräuchlichen Ausweitung der UNO-Resolution getan werden könnte, antwortete Prof. Dr. Paech, dass theoretisch der internationale Gerichtshof eingeschaltet werden müsste, aber die politischen Kräfteverhältnisse dies in der Praxis nicht zuließen, weil in der Wirklichkeit dieses Gerichtshof der UNO, ein Nachfolgeorgan der Nürnberger Prozesse zu einem spätkolonialen Instrument verkommen ist. Er bezeichnete sie als afrikanischer Gerichtshof, weil nur Afrikaner bisher von diesem Gerichtshof verfolgt worden sind. Prof. Dr. Paech verlor seinen Optimismus nicht und sagte, wir dürfen die Ablehnung der Kriege in diese Gesellschaft nicht unterschätzen und alles dafür tun, den Widerstand gegen die Militarisierung der Gesellschaft und den Kriegen zu vergrößern.

Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer verließen kurz nach 19:00 Uhr voller Informationen den Saal und verabschiedeten sich in der Erwartung der zweiten Konferenz nächste Woche. Die Zuversicht sprach aus vielen Gesichtern, die entschlossen und ausgerüstet mit neuen Informationen bereits diskutierten, wie auf der einen Seite der Kampf der Lampedusagruppe in Hamburg unterstützt und auf der anderen Seite der generelle Kampf gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Kriege hier gestärkt werden kann.

2. Februar 2014
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen



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Spendenaufruf:

Der Protest der Lampedusa-Gruppe in Hamburg erntet bei den Hamburger Verantwortlichen in der Politik nur Ignoranz. Die Kriegsüberlebende des NATO-Angriffs auf Libyen können den Kampf in Hamburg immer noch in der bekannten Stärke durchführen, weil sie neben ihrer politschen Klarheit und Entschlossenheit eine starke Solidarität von Hamburgerinnen und Hamburger jeglichen Alters, Geschlechts, Herkunfts oder Glaubens erfahren. Sie organisieren Wohnmöglichkeiten, Nahrung, und alles andere, was zum Leben und zum kämpfen notwendig ist. Jedes Euro zählt. Daher die Bitte, das folgende Video

zu verbreiten und das, was ihr könnt, auf das untenstehende konto unter dem Stichwort "Hamburg" zu überweisen.

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Referenzen:

[1] Neumann verteidigt Hamburger Flüchtlingskurs
http://hh-mittendrin.de/2014/01/neumann-verteidigt-hamburger-fluchtlingskurs/

[2] Wo sind eigentlich die Lampedusa-Flüchtlinge?
http://www.mopo.de/nachrichten/-problem--geloest--wo-sind-eigentlich-die-lampedusa-fluechtlinge-,5067140,25920720.html

[3] Interview mit Affo Tchassei
http://vimeo.com/66114512

[4] Schulstreik für die Flüchtlinge von Lampedusa 12.12.2013
http://www.youtube.com/watch?v=QNWI0_HVFBY

[5] Die Kolonialisten kehren zurück
http://www.zeit.de/2011/24/P-oped-Afrika

[6] Neue Macht - Neue Verantwortung
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/projekt_papiere/DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf

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