Libysche Kriegsflüchtlinge erwartet im Transitland Italien
Obdachlosigkeit und Elend – 300 wollen deshalb in Hamburg bleiben.
Ein
Gespräch mit Loredana Leo Interview: Gitta Düperthal-Junge Welt 12.08.13
Loredana Leo ist Rechtsanwältin und engagiert bei der Vereinigung für juristische Migrationsforschung (Association for Juridical Research about Migration) in Rom
Rund 300 Kriegsflüchtlinge, die im Jahr 2011 aus Libyen nach Italien geflohen sind, leben nun seit Monaten in Hamburg. Sie kamen in Lampedusa an, wollten aber in Italien wegen menschenunwürdiger Zustände nicht bleiben. Wie ist die aktuelle Situation für Asylsuchende dort?In Italien gibt es generell ein Problem für Flüchtlinge, weil ihnen der Staat keinerlei soziale Unterstützung zugesteht. Selbst wenn die italienischen Behörden ihnen einen humanitären Aufenthaltsstatus einräumen, und sie somit regulär im Land sind, hilft ihnen das nicht. Denn es gibt weder ausreichend Unterkünfte noch Sozialhilfe. So erging es auch den Flüchtlingen, die jetzt von Italien weiter nach Deutschland geflohen sind. Deshalb kämpfen sie in Hamburg darum, als Asylsuchende in der BRD bleiben zu dürfen. In Italien hat es ihnen am Notwendigsten gefehlt, um zu überleben: Ihnen ist offiziell erlaubt zu arbeiten, aber sie finden keinen Job. Nur wirklich mies bezahlte Arbeit in der Landwirtschaft! Dort werden sie meist als Tagelöhner ohne Arbeitsvertrag beschäftigt. Sie sind völlig rechtlos und können von einem Tag auf den anderen gefeuert werden. Wie überleben sie dann?
Die meisten von ihnen stehen vor dem Nichts. In Rom leben viele in Abbruchhäusern, die sie besetzen, oder auf Brachflächen am Stadtrand unter sehr prekären Bedingungen. Die große Mehrheit der Asylsuchenden ist in Italien ungeschützt, ohne Obdach, gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität. Selbst die medizinische Versorgung ist nicht ausreichend sichergestellt. Es gibt zwar das staatliche Asylsystem SPRAR (System für den Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen). Aber dort gibt es nicht genügend Plätze; kaum einer schafft es, dort unterzukommen. Ein großer Teil der Flüchtlinge ist im sogenannten CARA-System in unzureichenden Massenaufnahmeeinrichtungen untergebracht, ohne anständige Versorgung. Wer steht dafür in der Verantwortung?
Die rechtspopulistische Liga Nord hat in Koalition mit Silvio Belusconis »Popolo della Libertà« ehemals alles getan, damit es erst gar keine funktionierenden Regelungen für Asylsuchende gibt. Es war politisch nicht gewollt, sie zu integrieren. Man wollte Immigration verhindern und Geld einsparen. Nun gibt es ein Wirrwarr an Gesetzen, die sich teils widersprechen, insofern keine Rechtssicherheit. Die jetzige Regierung, bestehend aus dem Mitte-links- und Mitte-rechts-Lager, unter Enrico Letta, läßt alles beim Alten. Ist es wahr, daß Flüchtlinge 500 Euro in die Hand gedrückt bekommen und ermutigt werden, ihre Flucht nach Deutschland oder in andere nordeuropäische Länder fortzusetzen?
Im Licht der Öffentlichkeit würde das kein Mitarbeiter lokaler Behörden zugeben, aber in der Praxis geschieht es offenbar so. Die Flüchtlinge aus Lampedusa in Hamburg sind weder in Deutschland noch in Italien willkommen. Die deutsche Bundesregierung will sie nach der Dublin II-Gesetzgebung zurückschieben, weil Italien das erste europäische Land ist, das sie nach ihrer Flucht aus Libyen betreten haben.
Sie haben alle Aufenthalt in Italien, könnten also theoretisch dorthin. Praktisch ist aber der Überlebenskampf, der sie dort erwartet, zu hart – ohne Rechtsanspruch auf Wohnraum oder ein Existenzminimum. Weil diese Situation menschenunwürdig ist, plädieren wir dafür, die Flüchtlinge von Lampedusa in Hamburg nach Paragraph 23 des deutschen Aufenthaltsgesetzes aus politischen Gründen aufzunehmen. Genau das wollen sie auch. Nach Libyen können sie wegen des Krieges nicht zurück, in Italien würden sie sich in einer humanitären Notlage befinden. Viele deutsche Verwaltungsgerichte haben deshalb bereits eine Rückführung von Asylsuchenden nach Italien für rechtswidrig erklärt. Es kann nicht sein, daß die Flüchtlinge die Leidtragenden sind, weil ihnen das Recht abgesprochen wird, sich ihren Aufenthaltsort in Europa selbst auszusuchen. 2014 will das Europäische Parlament die Dublin III-Regelung verabschieden. Danach sollen Mitgliedstaaten Flüchtlinge in kein EU-Land abschieben dürfen, wenn das Risiko besteht, daß sie dort inhuman oder erniedrigend behandelt werden. Aber auch Dublin III wird nicht weiterhelfen. Das Recht auf Asyl muß in ganz Europa gelten, nicht für einzelne Staaten. Die unwürdige Hin- und Her-Schieberei muß ein Ende haben.