Lesvos die Insel der Solidarität vom letzten Sommer, wo hunderte täglich
ankamen und hunderte solidarische Menschen sie in Empfang nahmen, ist nicht
mehr da.
Die solidarischen Menschen sind noch da, aber scheinbar erstarrt an den Entwicklungen
und dem Politikwechsel der Regierung Syriza, nach dem EU-Türkei-Abkommen.
Das Lesvos, dessen BewohnerInnen,
die Omas und die Fischer, für den Nobelpreis nominiert wurden, hat ein Jahr
später im Oktober 2016, ein anderes Gesicht: es wird die Insel der Eingeschlossenen.
6.000 Menschen, die seit Monaten im hotspot Moria, im Kara-Tepe-Camp und in anderen von
NGOs geführten Unterkünften warten und nicht wissen für wie lange. Die Asylprozedur
fängt nicht mal an, und jetzt, Wochen nach dem letzten Brand im Hotspot, sind
die Asylbüros ganz geschlossen auf unbekannte Zeit. Jetzt weis ich warum es Hotspot
heißt.
Nach dem 20. März, als das EU-Türkei-Abkommen eingeführt wurde, können
neu ankommende Flüchtlinge nicht mehr weiter .Sie wurden gezwungen, auf der
Insel in den Camps zu bleiben und werden sortiert nach Rückführungen oder
eventuell irgendwann die Chance haben, Asyl zu beantragen.
Auf der Insel ist die Stimmung dem entsprechend umgekippt : Hotelbesitzer
geben den Flüchtlingen die Schuld an ihren nicht gebuchten Hotels, obwohl jeder
weiß, dass sehr viele Hotels aber auch Hausvermietungen, Restaurants usw. seit
der Ankunft der hunderten von NGOs und volunteers, aber auch Frontex, Easo usw.
blühen . Eine Wintersaison, wo alles weiter läuft, ist seit letztem Jahr
eingeführt. Das Geld verdienen von Reisebüros, Autovermietungen, Restaurants,
Tankstellen und Supermärkten blüht weiter.
Trotzdem, die Stimmung kippt zum Rassistischen: Eltern sperren den
Eingang von Schulen, damit Flüchtlingskinder
nicht eingeschult werden. Derselbe Bürgermeister, der sich mit der Solidarität
schmückte, verbietet jetzt Hausbesitzern und Hoteliers an NGOs zu vermieten, um
Unterkünfte zu machen. Dörfer demonstrieren gegen die Öffnung einer Minderjährigenunterkunft
in ihrem Dorf.
Als ob ein Tsunami der Abschottungslogik in den Gehirnen der locals
gewütet hat, der sie von jedem logischen Denken befreit hat.
Minister Mouzalas macht öffentlich, dass es die EU ist, die ihm erlauben
kann, Flüchtlinge von den Inseln aufs Festland zu bringen.. Er gibt damit
öffentlich zu, dass die griechische Regierung die Macht über Entscheidungen in
ihren Gebieten abgegeben hat. Die Kolonialzeit Griechenlands ist eingeführt und
wir alle schauen zu und glauben unseren Ohren nicht, aber schweigen.
6.000 Eingesperrte auf Lesvos warten auf ihre Asylinterviews. Die von der
EU beschlossene Anzahl der EASO-Beamte, die in Griechenalnd ankommen sollten,
um die Asylanträge aufzunehmen, lassen auf sich warten, 30 von 400 sind seit Monaten
angekommen. Genauso wie die relocation-Zahlen nicht von den europäischen Ländern
erfüllt werden, so wie beschlossen in dem Abkommen mit Griechenland.
In den Hotspots auf den Inseln ungeduldige Verzweifelte legen Feuer,
immer wieder. Zur Vermeidung von mehr riots wurde der hotspot Moria teils
geöffnet . Sogar die Minderjährigen, die bis vor 2 Monaten ganztags und über
mehrere Monate eingesperrt blieben, dürfen allein raus gehen und kommen auch
freiwillig zurück abends.
“Nur” alle Neuankommende und alle die im pre-removal sind, zur Abschiebung
freigegeben, können nicht raus.
Trotzdem ist die Stimmung im hot spot
besonders für alleinstehende Frauen nachts unerträglich, viele schlafen
auf dem Boden in Zelten ohne jeden safe space.
Die zufällig von uns mitgekriegten Beispiele, wie die 126-jährige
syrische Kurdin die einen ganzen Monat im hotspot “wohnen” musste, bis endlich
sie und ihre Begleitfamilie inclusive eine Hochschwangere Papiere bekommen
haben, um nach Athen zu gehen. 30 Tage hat keine der viele NGOs im hot spot sich gekümmert, die alte Dame und die
schwangere Mutter mit vier Kindern in einer Wohnung unterzubringen.
Im camp KaraTepe, wo viel bessere Bedingungen herrschen und Freiheit,
sind trotzdem die Menschen am verzweifeln, weil sie aus der Insel nicht weg
dürfen.Nicht die Kranken, nicht die Alten, nicht Menschen, deren Verwandte in
anderen europäischen Ländern sind und Familienzusammenführung beantragt haben.
Schwerverletze, die im Krankenhaus sich behandeln lassen und dann ein
Papier bekommen wollen, um nach Athen weiter reisen zu dürfen, um richtig
behandelt zu werden, bekommen dieses Papier nicht, sondern Beruhigungsmittel
verschrieben. Es gibt kein Entkommen aus der Insel.
Eine alte Dame, die nach ihre Ankunft im Krankenhaus operiert wurde, kämpft
seit Wochen, um einen Befund und eine Bestätigung der OP zu bekommen. Es wird ihr gesagt: leider gibt es kein Papier,
das sie da operiert wurde. Aber nur mit dem Papier könnte sie weiter fahren
nach Athen und erfahren, ob ihr ein bösartiger oder ein gutartiger Tumor
entfernt wurde.
Copyshops weigern sich, alles zu kopieren, was einen offiziellen Stempel
drauf hat, Sicherheitsbeamte halten Reisende mit gültigen Dokumente vom Einsteigen
auf die Fähren ab und zwingen sie, zum hotspot zu gehen, um ihre Papiere prüfen
zu lassen. Jeder der nicht weißer Europäer ist, kann es vergessen, ohne
tagelangen Ärger aus der ehemaligen “Insel der Solidarität” wegzukommen. Sogar
ein Europaabgeordneter musste sich einer zweistündigen Kontrolle unterziehen
wegen seiner Hautfarbe…
Die auf der Insel steckengeblieben Flüchtlinge, die Glück haben, werden
von ihren Verwandten aus Europa besucht. Die Mutter oder den kleinen Bruder werden
besucht, um sie zu trösten und ihnen Mut zu machen, dass dieses elendige Warten
irgendwann ein Ende nehmen wird. Die, die solche Glücksmomente erleben dürfen,
sind wenige.
Die meisten verzweifeln immer wieder. Manche verlieren ihre Geduld,
versuchen mit allen Mitteln, sich in LKWs zu verstecken, um mit der Fähre nach
Athen zu kommen, trotz der Militarisierung des Hafens manche mit Erfolg. Andere
bezahlen dafür sogar viel Geld.
Sie wissen vielleicht nicht, dass wenn sie die Insel verlassen, verlieren
sie gleichzeitig ihr Recht auf Asylbeantragung und werden zur Abschiebung
freigegeben. Andere nehmen in ihrer Verzweiflung den Weg, auch bezahlt und
gefährlich, zurück in die Türkei.
Die Regierung kündigt an, ab November 2016 wöchentlich 200 Rückführungen
in die Türkei zu machen von Lesvos. Reell werden seit ein paar Wochen jede 2-3
Tage unauffällig mit den Tagesausflugsschiffen von frontex gemietet, Menschen
abgeschoben nach Dikili.
Gleichzeitg mit der von frontex gecharteten ASTRA Airline werden syrische
Menschen nach Adana zurückgeführt. Das alles ohne großes Aufsehen und ohne grosse Medienpräsenz. Parallel werden
die Menschen aus dem Magreb, aus Ägypten,
Bangladesch und Pakistan mit Schnellverfahren von ihrem Recht auf Asyl befreit,
sodass die Schiffe nach Dikili immer Kundschaft haben. Persönliche Asylgründe
haben in diese Prozedur keinen Platz.
Parallel plant die Regierung gegen den Willen der Bevölkerung und des
Bürgermeisters die Eröffnung eines neuen hotspot / preremoval centers. Um die Gegenstimmen
zum Schweigen zu bringen, wollen sie jetzt innerhalb Morias bauen. Sie
versprechen sich schnellere Abschiebungen, wenn die Menschen vorher schon eingesperrt
sind.
Es ist offensichtlich, das Lesvos eine zentrale Abschiebehochburg wird ,
aus der Angst der griechische Regierung, das EU-Türkei-Abkommen zu brechen und
dafür zahlen zu müssen. Dass heute in deutschen Medien die nachricht steht, dass
es EASO und Asylbehörden der EU-Länder sind, die nicht mehr bereit sind, ihre Beamten
nach Lesvos und die anderen Inseln zu schicken aus Sicherheitsgründen, und
damit selber das Abkommen brechen, scheint nicht so bekannt.
Genauso wie bei den Koordinierungstreffen, organisiert von der
Inselverwaltung und dem UNHCR, wo eins der Dauerthemen “Sicherheit” ist. Aber
denkt nicht, dass es um die Sicherheit der Flüchtlinge geht, der jungen Mütter,
der Minderjährigen, der alleinstehenden Frauen, sondern um die Sicherheit ihrer
MitarbeiterInnen.
Die Flüchtlinge, eingesperrt in einen unsicheren Ort, haben auch hier in
der EU angekommen keine Rechte. Oder ist vielleicht Lesvos nicht mehr EU? Es
könnte sein, dass aus der Insel ein Transitbereich gemacht wurde, wo die EU- Grenzsicherung
im Vordergrund steht. Wer die Perversität der EU-Flüchtlingspolitik beobachten
will, geht momentan nach Lesvos.
Ich bin seit vier Monaten auf der Insel und mich begleitet ständig das
merkwürdige Gefühl frei zu sein auf einer Insel, wo ein Teil der Bevölkerung
eingesperrt ist. Eine Art Apartheid der Moderne. Unsere Parole FREEDOM OF MOVEMENT ist das was
jeder Eingesperre sich wünscht und
FÄHREN NOT FRONTEX auch, aber in der richtige Richtung……
marily stroux
http://lesvos.w2eu.net